Text: Martin Obermayr | Fotos: Sandi Murovec
Er ist Filmproduzent, Buchautor und hat die Skitechnik seiner slowenischen Landsfrau Tina Maze auf neue Ebenen gehoben. Sandi Murovec ist ein nimmermüder Visionär und Botschafter des Schneesports. Mit uns macht er einen Streifzug zu seinen Erlebnissen und wagt einen Blick in die Zukunft.
Insight Magazine: Du hast mit Tina Maze gearbeitet, die mit 2.414 Punkten den Welt- rekord im Gesamtweltcup hält. Wie ist das entstanden?
Sandi Murovec: Ich habe Tina 1999 kennengelernt. Sie war damals 16 und galt als großes Talent im Nationalteam. Seitdem waren wir immer wieder in Kontakt. Intensiviert hat sich das dann 2008, als das „Team to a Maze“ gegründet wurde – eine Betreuergruppe, in der alles auf Tina zugeschnitten war. Ihr Lebenspartner und Konditrainer Andrea Massi war der Teamchef, dazu gab es einen Servicemann und ich habe von Mai bis Ende Oktober mit Tina an ihrer Skitechnik gearbeitet. Später kamen noch andere Leute dazu.
Was hast du von dieser Zusammenarbeit gelernt? Sandi: Erstens, dass du nie gut genug bist. Es gibt immer noch Reserven. Zweitens, die Entwicklung im Skifahren hört nie auf. Kaum denkst du dir: „Wow, jetzt fliege ich dahin“, kommt etwas Neues daher – jede Saison. Und drittens: Wenn man mit so einem Champion arbeitet, ist man in einer komplett anderen Welt unterwegs. Wer auf diesem hohen Niveau Ski fährt, muss ein- fach anders sein.
Wie meinst du das?
Sandi: Jeden Tag lernte ich etwas Neues. Wie geduldig man sein muss. Wie wichtig eine gute persönliche Beziehung ist. Wie man überhaupt mit so einer hochkarätigen Sportlerin kommuniziert. Und vor allem, wie man sie auf ein noch höheres Level bringt. Ein Beispiel: Ich habe gesehen, dass sie mit
dem Körperschwerpunkt tiefer nach unten musste. Da war es klar, dass sie mehr Kraft benötigte. Also musste sie ihre gesamte Bein-, Rumpf- und Rückenmuskulatur stärken. Und dann musste ich sie überzeugen, dass es dauert, bis man die Auswirkungen der Umstellung erkennt. Es ist immer eine Kette an Dingen, die zusammenhängen – eine große Herausforderung, aber auch eine großartige Freude.
Gibt es den perfekten Schwung?
Sandi: Es gibt die Physik und ihre Fakten – da kommt man nicht daran vorbei. Aber jede Athletin und jeder Athlet ist unterschiedlich: von der Muskulatur, der Körpercharakteristik, der Genetik etc. Daher kannst du nicht einfach jemanden kopieren. In Tinas Fall konnten wir nicht sagen: „Die Slalom-Technik von Mikhaela Shiffrin ist die beste und das übernehmen wir jetzt.“ Das Problem von Tina war, dass sie mit einem etwas breiteren Skiabstand als Mikhaela gefahren ist und deshalb weitere Wege zurücklegen musste. Das kostete rund 2 Hundertstelsekunden pro Tor. Bei 55 Toren sind das 1,1 Sekunden – und genau das war auch der Abstand, den sie meist hinten war. Also mussten wir an Tinas Gesamtkonzept arbeiten.
Wie überzeugt man jemanden, komplett neue Wege zu gehen? Sandi: Das geht nur über bedingungsloses Vertrauen. Ich habe ihre Ski-Technik gescannt und ihr erklärt, welche Entwicklungen ich im Weltcup und wo ich ihr Potenzial sehe. Sie ist dann meiner Vision gefolgt und hat meinem Verständnis von Technik vertraut.
Tina hat alles gewonnen: vom Gesamtweltcup über 2 Olympia- und 4 WM-Goldene bis zu Siegen in allen 5 Disziplinen. Welchen Anteil an ihren Erfolgen hast du? Sandi: Das wäre jetzt anmaßend, etwas zu sagen. Das kann nur sie machen. Am Ende des Tages musste sie es allein auf der Piste umsetzen. Wobei ich sagen muss, dass Andrea Massi der Meister dieses brillanten Projekts war. Mich persönlich hat sehr glücklich gemacht, dass wir nach Tinas Karriere den Ski-Film „7 to Heaven“ produziert haben – auf Deutsch „7 zum Siegen“. Darin erzählt sie etwa, wie ich ihr bei der Verbesserung ihres Rechtsschwungs geholfen habe. Und sie sagt auch, dass das die beste Erfahrung ist, die sie mit Muri gemacht hat – das ist das größte Kompliment für mich.
In dem hochwertig produzierten 45-min-Film beschreibt ihr 7 Axiome, die für den Erfolg von Tina ausschlaggebend waren: Diese haben so klingende Namen wie „Open Attack“, „The Arm of Glory“, „Battle Control“ usw. Was war euer Ziel?
Sandi: Wir wollten damit zeigen, wie Tina ihre Grenzen noch einmal weiter verschoben hat und an welchen Details wir gearbeitet haben. Das sind natürlich nicht alle Punkte, aber sie sollen auch den Normalskifahrer animieren, sich mit seiner
Technik auseinanderzusetzen. Die Botschaft des Films lautet: Nur die Besten kennen und teilen die Zukunft.
Womit beschäftigst du dich im Moment?
Sandi: Mein aktuelles Projekt ist ein Buch mit dem slowenischen Titel „BITI MOJSTR-SKI“ – das heißt übersetzt so viel wie: „Wie du zum Ski-Meister wirst“. Es ist ein Master-Manual, in das ich mein ganzes Wissen über das Skifahren gepackt habe: vom Anfänger bis zum Rennfahrer. Die 7 Axiome des Films kommen auch vor, sind aber nur ein geringer Teil. Das Buch gibt es vorerst leider nur auf Slowenisch und Chinesisch – in China will man im Moment alles rund ums Skifahren haben. Ich hoffe, dass das Buch auch auf Deutsch und Englisch erscheint. Vor allem Deutsch ist die wichtigste Sprache im Skisport und Skilehrwesen.
Was sind die Inhalte des Buchs?
Sandi: Es ist als Dialog zwischen dem Leser und mir aufgebaut. Ich versuche darin, das Ganze so direkt und essenziell wie möglich anzusprechen: z. B. „Top-Performance ist gleich Top-Verständnis.“ Das heißt, wir müssen das Training und den Unterricht verständlich machen, denn nur so kann man Dinge umsetzen. Oder: „Wir sind immer Lernende. Das hört nie auf.“ Oder: „Weniger ist mehr.“ Auch das von mir entwickelte Skilehrprogramm „UPS“ wird vorgestellt. Dazu gibt es jede Menge Technik-Tipps und Theorie. Und ein großes Kapitel dreht sich um die Skitechnik von jungen Rennfahrern – meine 12-jährige Tochter zeigt dafür die Übungen vor.
Wird sie einmal in die Fußstapfen von Tina Maze treten? Sandi: Das kann man überhaupt nicht sagen. Ich bin froh für sie, dass sie gern Rennen fährt und das Skifahren so liebt wie ich. Aber das ist auch ein Punkt in dem Buch: „Was ist der Unterschied zwischen Talent und einem außergewöhnlichen Gefühl fürs Skifahren?“ Talent ist viel komplexer, als gut am Ski zu stehen – da geht es wie schon gesagt um Gene, Muskelstruktur etc.
Du bist ja auch Mitglied des slowenischen Demo-Skiteams und Berater der International Ski Instructors Association. Wie wird der Skiunterricht im Jahr 2025 aussehen? Welche Erwartungen werden die Gäste haben? Sandi: In meinem UPS-Programm beschäftige ich mich seit 15 Jahren mit dieser Frage und das wird sich bis 2025 nicht ändern. Die Erwartungen des „normalen“ Skifahrers an den Sport sind ziemlich hoch. Denn jeder kauft gemeinsam mit der Ausrüstung auch gewisse Versprechungen – auf die Art: „Mit diesen Skiern kann ich noch schneller, noch schöner, noch effizienter fahren.“ Aber viele Skischulen sind für diesen Zugang nicht bereit und verlassen sich auf traditionelle Konzepte, wenn ich das ehrlich sagen darf.
Wie kann man den Unterricht anders gestalten?
Sandi: Mein Ansatz ist, das Lernen mithilfe von speziellem Equipment effizienter zu machen. Denn die körperlichen Voraussetzungen haben sich in den vergangenen Jahren ja nicht dramatisch verändert. So stark und schnell funktioniert Evolution nicht. Es ist immer noch Skifahren und gehorcht bestimmten physischen Gesetzen. Für mich ist Skifahren dem Inline-Skaten sehr ähnlich. Die Frage, die ich mir gestellt habe: „Warum lernen die Leute so schnell Inline-Skaten, aber wenn du sie auf Skier stellst, dauert es eine Ewigkeit?“ Obwohl die Bewegungen fast die gleichen sind.
Was ist deine Lösung?
Sandi: Wir müssen die gesamte Denkweise umstellen. Die Programme müssen interessanter und spannender sein, die Leute müssen den Sport schneller lernen, mehr Adrenalin ausschütten, mehr Spaß haben. Sie brauchen in ihrer Freizeit ja keinen zusätzlichen Boss, der sie herumkommandiert. Ein Meilenstein für mich war in dieser Hinsicht der Unterricht mit Kindern. Dafür verwenden wir ja auch keine komplizierten Erklärungen über Bewegungsabläufe und Körperhaltungen. Wir sagen ihnen: „Mach eine Pizza!“ „Mach Pommes!“ Warum tun wir das nicht auch mit Erwachsenen?
Klingt spannend, aber glaubst du wirklich, dass das funktioniert?
Sandi: Aber klar, wir haben dafür schon Figuren und Namen entwickelt – du kannst sie gern aufschreiben: Zwangsjacke, Superman, Happy Man, Seiltänzer, Bungee, Nussknacker. Und den Leuten gefällt das wirklich. Wenn ich ihnen sage: „Hey, mach es wie Superman“, dann brauche ich keine Beschreibung, was damit gemeint ist. Jeder weiß das. Das gleiche gilt für „Zwangsjacke“. Natürlich muss man das alles im gesamten Kontext des UPS-Programms sehen. Aber wir sollten in Zukunft mehr in diese Richtung gehen. Und wir haben ja das ganze Equipment wie Hütchen, Gummiseile, Bälle usw. für einen spannenden Unter- richt. Wir müssen nur besser damit arbeiten. Vor 40, 50 Jahren haben die Leute auch das Skifahren genossen – ohne diese ganzen Sachen. Warum sollen sie es heute nicht mehr genießen.
Spielen in dieser Hinsicht auch smarte Technologien und Gadgets eine Rolle?
Sandi: Um es zu vereinfachen: Ein Bein ist immer noch ein Bein und Skifahren ein körperlicher Vorgang. Egal, was du misst, keine App, kein Gadget kann dein Problem lösen. Du bekommst nur die Information, wo du nicht gut bist. Du kannst nicht einfach ein Tool kaufen und bist automatisch ein besserer Skifahrer. Du musst dir das erarbeiten. Natürlich können digitale Technologien eine perfekte Unterstützung im Training sein. Aber unsere Hauptaufgabe ist nicht, die bestmögliche App zu entwickeln, sondern die Programme besser zu machen – das ist etwas ganz Anderes.
Was ist der wichtigste Bereich?
Sandi: Wo wir große Probleme haben, ist die Geschwindigkeitskontrolle – ganz egal auf welchem Skifahrer-Level. Zu viele Leute verlassen sich auf die heutigen Skier, die aber viel schneller als früher sind. Und wenn du mit der Geschwindigkeit nicht umgehen kannst, bringst du dich selbst und alle anderen um dich herum in Gefahr. Aber auch hier bleibt das Hauptziel das spielerische Lernen. Ich habe dafür einen schönen Satz gefunden: „Das Leben ist schön – Skifahren ist beides.“ Also, Skifahren ist das Leben und es ist schön.
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